Porträt des Stedtfelder Ortschronisten Otto Münch

Der Luther von Stedtfeld

Otto Münch schrieb handschriftlich die 120seitige Chronik von Stedtfeld

VON LUDGER KONOPKA

EISENACH. Stolz hievt Otto Münch die kiloschwere Stedtfelder Gemeindechronik auf den Tisch im unteren Boyneburgkschen Schloß. Und schwitzt dabei nicht einmal. „Ich kam nach Luther“, lächelt der 74jährige verschmitzt. „Der hat seine Bibel in einem Jahr geschrieben und ich die 120seitige Chronik handschriftlich in drei Monaten.“ Seine kräftigen Hände umklammern sicher den dicken Einband.

1155 wird „Stetifelt“ im Kodex Eberhardi zuerst genannt. Der Mönch Eberhard hatte im Auftrag des Klosters Fulda dessen Besitz ermittelt und den Kodex in lateinischer Schrift niedergeschrieben. Das Original wird im hessischen Staatsarchiv in Marburg aufbewahrt. Otto Münch: „Im Mittelalter wurde unser Dorf auch als Wiederstedtfeld bezeichnet, solange das Dorf Oberstedtfeld noch am Fuße der Michelskuppe in Eisenach bestanden hat.“ Als Martin Luther 1483 in Eisleben das Licht der noch nicht reformierten Welt erblickte, war Stedtfeld schon seit 328 Jahren bekannt.

Die 850-Jahr-Feier Stedtfelds von 2005 ist in der vom ehemaligen Ortsbürgermeister Christian Köckert gewidmeten Chronik ausführlich in Wort und Bild dokumentiert. „In seiner Amtszeit von 1991 bis 1994 hat Christian Köckert praktisch das Kuhdorf Stedtfeld zu einem lebenswerten, modernen Stadtteil gemacht“, weiß Chronist Münch. Heute sind im Gewerbegebiet des schmucken Dörfchens um die 30 Firmen ansässig.

Und dann ist da noch Lothar Kappherr. Der hat in drei Jahrzehnten Daten und Ereignisse gesammelt, die durch Otto Münch niedergeschrieben wurden. „Als meine Hauptaufgabe sehe ich die Erhaltung der historischen Aufzeichnungen und Arbeiten der Ortsgeschichte, die unser Chronist Lothar Kappherr in seiner Sammelleidenschaft und Forschungsarbeit zusammengetragen hat und die für ihn bequem als Dissertation für einen Doktortitel gereicht hätte“, verdeutlicht Münch den Sinn seiner Arbeit.

„Den Schreibauftrag für die Stedtfelder Chronik erhielt ich vom Ortsteilbürgermeister Ottomar Schäfer“, erinnert sich Münch. So hat er dem „Datensammler“ und langjährigen Vorsitzenden des Wandervereins eine ganze Seite mit Bild gewidmet: „Lothar Kappherr war auch die Triebkraft, daß in Stedtfeld der Bergbau-Lehrpfad zu neuem Leben erweckt wurde.“ Fast zärtlich streichen Münchs kernige Finger über ihr geschriebenes Werk. In ihrem Arbeitsleben waren sie bis 1956 in der Klempnerei der AWE-Forschungsabteilung und schraubten fürs Rennkollektiv den 1,5-l-Rennsportwagen. Die Zylinderkopffertigung im Gries war nach der Wende selbständig und bis zur Übernahme durch VW Mosel in Zwickau beim AWE integriert. Seit 16 Jahren sind diese Finger im ,,Schrauberruhestand“ – und schreiben statt dessen schön.

Auch andere haben sich schön in die Chronik eingetragen. Die Liste der Ehrengäste ist lang: Vorneweg Baron Otto und Dorette von Boyneburgk, die letzte Generation, die in Stedtfeld gelebt hat. Heute residieren sie in Wichmannshausen. Christian Köckert hat als Thüringens Innenminister seine Handschrift hinterlassen, so wie Dr. Hardo Nordmann, europäischer Patentanwalt bei Siemens. Er lebte bis 1948 in „Stetifelt“. Die Verwandten von Lutz Harsein, Landesforstverwaltung, stammen aus der Stedtfelder Mühle. Landrat Reinhard Krebs wohnt quasi „um die Ecke“.

Juni 1966. Professor Dr. hc Rudolf Mauersberger, Leiter des Dresdner Kreuzchores, gibt in der Margarethenkirche ein Chorkonzert. Der Hörscheler Kantor Oscar Schill hatte es möglich gemacht. „Vor dem Hintergrund, daß Stedtfeld bis 1972 Sperrzone war, geradezu ein sensationelles Ereignis“, wertet Otto Münch diese Geschichte wohl richtig.

Mit der Wende kamen die Amerikaner. Im Herbst 1990 hockte Louis R. Hughes in der Dorfgaststätte ,,Zur Linde“. Der Leiter Automobilproduktion GM Europa versprach beim frisch gezapften ,,Eisenacher“ eine umweltverträgliche Produktion im Opelwerk auf dem Gries. Weitere illustre Größen im Dorf: Joschka Fischer als hessischer Umweltminister, Bundespräsident Roman Herzog besuchte 1997 das Gründerzentrum im Gewerbegebiet. Und natürlich wanderte Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel auf dem Stedtfelder Rennsteig. Am 14. Mai 1998 wird die Luft über dem Dorf durcheinandergewirbelt. Mit dem Hubschrauber landen US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Werth gegenüber den Fidelhöfen, um das Opel-Werk zu besichtigen.

Übrigens war auch Gustav Stein, der Erbauer des Burschenschaftsdenkmals, ein Stedtfelder Jung. Jahrgang 1855. Mit seiner großen Baufirma in Eisenach war er herzoglicher Hoflieferant. Nicht unwesentlichen Anteil an der Bevölkerungsentwicklung im Dorf hatte Pauline Löffler – als Hebamme. Von 1931 bis 1961 hat sie in Stedtfeld und Umgebung etwa 1500 Kinder ans Licht der Welt gebracht. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad kam sie an ihren Einsatzort. Erst 1953 gönnte sie sich ein Moped. Mit viel Liebe zum Detail baute Otto Münch ab 2005 anläßlich der 850-Jahr-Feier auch die Ausstellung ,,Ortsgeschichte Stedtfeld“ in zwei Räumen des unteren Schlosses auf. Seine Augen glänzen, wenn er sagt: ,,Besondere Ereignisse und Persönlichkeiten haben hier einen Platz gefunden, um unseren Nachfahren kulturelles Wissen zu erhalten.“ So ist es kein Wunder, daß auch die Augen ganzer Schulklassen glänzen, wenn er sie durch seine ,,Gemächer“ führt. Zu sehen sind Exponate aus dem Altbergbau, von Handwerk und Vereinen, sowie ,,Fotofließbänder“ mit Bildern aus vergangenen Jahrzehnten. Den ,,Fürstenstollen“, einen der Schächte über dem Pochteich, die zum Teil 150 Jahre alt sind, hat er als Modell nachgebaut. ,,Der Kupfer- und Kobaltbergbau in Stedtfeld existierte etwa von 1522 bis 1800“, erzählt Otto Münch. Sein Hobby Fossiliensuche passte da natürlich genau in den Aufbau der Ausstellung. Und schon halten seine immer noch kräftigen Hände einen großen Brocken Kupfergestein in den Raum.

Neben historischem Werkzeug aus der Holzfällerei, dem Bergbau und der Schmiedekunst, ist das Schmuckstück der Ausstellung zu sehen. Das detailverliebte Modell des Pochwerks und der Schmelzhütte. ,,Poch, poch, poch macht’s leider nicht“, schmunzelt der Luther von Stedtfeld, ,,ich habe kein fließend Wasser in die Mühle geleitet.“ Martin Luther starb 1546 in Eisleben. Sein schreibender Nachfahre Otto Münch betrat 1938 in Stedtfeld die Bühne der inzwischen reformierten Welt. Die Chronik wird vom Ortsschreiber natürlich in Schönschrift den Ereignissen entsprechend weitergeführt. Münch ist immer auf der Höhe der Zeit.
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